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Acht Tage war Randers schon in diesem Waldwinkel, statt an die See zu gehen, wie es seine Absicht war. Wenn ihm jemand vorhergesagt h?tte, er würde eine ganze Woche zwischen Feld und Wald in einem einsamen Schulhause leben, würde er ihn ausgelacht haben. Er war kein Idylliker. Er liebte weite Horizonte, Gr?sse, Erhabenheit in der Natur. Er liebte das Meer.
Was hielt ihn nur hier fest unter dem langgestreckten Ziegeldach des niedrigen Schulhauses mit dem kleinen b?uerischen Vorgarten voll greller Astern und plumper Georginen? Das sah ja von der Landstrasse aus ganz traulich und anheimelnd aus. Aber auf die Dauer war doch alles so eng, kleinlich, so muffig. Dazu die zwei langen Blitzableiter auf dem Dach, die dem ganzen so einen offiziellen Anstrich gaben: Dies ist eine Schule.
Und dann die Familie des Lehrers!
Doch die gefiel ihm, er hatte wirklich nichts gegen sie. Gute, brave, einfache Leute, und voller Aufmerksamkeit gegen ihren Sommergast. Sie hatten einen solchen gesucht. Er hatte es unterwegs im Provinzboten gelesen. Dann war er ihnen gleich vor die Tür gefahren. Auf ein paar Tage. Sie hatten ihn erst auf so kurze Zeit nicht aufnehmen wollen. Aber er versprach zu r?umen, wenn sie das Quartier besser vermieten k?nnten.
Mit weicher Neugier hatten sie ihn ausgefragt. Nicht auf einmal, aber so nach und nach. Sie mussten doch wissen, was er eigentlich war.
Ja, was war er? Eigentlich nichts.
Aber das h?tten sie nicht verstanden, er fühlte instinktiv, dass diese Leute von seiner Jugend irgend eine nützliche T?tigkeit verlangen würden. Freilich, er war ihnen ja keine Rechenschaft schuldig. Aber es genierte ihn doch. Und so wollte er sich denn als Journalist vorstellen, besann sich aber und sagte Schriftsteller.
"Sie schreiben wohl für Bl?tter?"
"Ja, für Bl?tter."
Alle sahn ihn mit unverhohlener Neugier an, nicht ohne Misstrauen. Und der Lehrer sagte nochmal:
"So, f-ff-für die Bl?tter."
Er hatte eine ungelenke Zunge. Er umging das Stottern, indem er die widerspenstigen Laute vorsichtig anfasste und bed?chtig z?gernd wieder entliess.
Randers hatte schon am dritten Tag den Koffer wieder packen wollen, hatte es einen Tag aufgeschoben, weil es gerade regnete, einen andern, weil es zu heiss war und er sich müde und unlustig fühlte. Und nun war er immer noch hier, hatte sich unmerklich eingew?hnt und liess es gehen, wie es ging.
Tagsüber lag er auf dem Rücken im Waldmoos, eingelullt von dem leisen Rauschen des Buchenlaubes, dem einzigen Ger?usch, das ihm einigermassen den eint?nigen Gesang des Meeres ersetzen konnte, oder er dr?ngte sich mit seiner langen, hageren Figur durch das dichte Unterholz, auf schmalen, verwilderten Fusssteigen, wo es ihm besser gefiel als unter den hohen Buchen, die er freilich nirgends so pr?chtig gefunden hatte wie hier, ausgenommen natürlich in D?nemark, seinem geliebten D?nemark. Aber das niedere Dickicht hatte es ihm angetan. So ganz eingeschlossen in der grünen Wildnis, die ihn in Kopfh?he überdachte, in unmittelbarer Berührung mit diesem Gewirr von Zweigen und Blattwerk, so ganz in dieser grünen Enge eingeschlossen war es ihm erst wohl.
Einmal in diesen acht Tagen hatte ihn seine Sehnsucht an die Ostsee geführt, die ein paar Stunden von hier ihre schl?frigen Wellen auf den Sand des flachen, langweiligen Strandes warf.
Da hatte er ein Bad genommen und hatte dann fast zwei Stunden lang auf dem Rücken im warmen Sand gelegen, die kühle Seeluft geatmet, Verse gemacht und an ein kleines M?dchen in rotem Wollkleid gedacht. Gedanken, die nicht tief herkamen, die aber hartn?ckig waren.
Es war eigentlich nur das rote Wollkleid gewesen, das ihn besch?ftigt hatte. Diese grelle, rote Farbe, die wie ein Fleck auf allem lag, wohin er sah, auf dem Wasser, auf dem gelben Sand, und in der hellen zitternden Luft tanzte.
Ja, ja, das kam noch auf das bewusste Konto. Hallucinationen. Er hatte auch gar zu wüst gelebt, den ganzen Winter. Aber er sollte ja auch nur darüber hinweg kommen. So ein Abschied für immer ist keine Kleinigkeit. Und es hatte doch tiefer bei ihm gesessen. Schliesslich geht's auf die Nerven. Erst dies Verh?ltnis, dann der Alkohol, Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Gespenster. Es war nicht mehr zum aushalten gewesen. Er hatte zuletzt mit dem Arzt sprechen müssen. Der untersuchte ihn gründlich; kerngesund. Aber hier oben, mein Lieber, diese Knoten auf dem Kopf da. Sehen sie sich vor. Etwas weniger Spirituosen. Es ist weiter nichts als das. Gehen Sie ein paar Wochen an die See. Immer draussen. Oder machen Sie eine Fusstour. Aber wie gesagt: h?chstens zwei Glas!
Das war's, was ihn seinen Koffer hatte packen lassen. Der Arzt hatte recht, es ging wirklich nicht so weiter, wollte er noch ein paar Jahre leben. Und das wollte er. Sein Leben lag doch noch vor ihm, das Leben, das seiner Natur gem?ss w?re. Und das war ja sein einziges Streben, sich mal ausleben zu k?nnen, ein paar Jahre nur, ganz souver?n, keinem willig und gehorsam als nur den Geboten seiner Natur. Und dazu bedurfte er der Gesundheit. Es k?me ja sonst nicht darauf an, ein paar Jahre früher oder sp?ter abzutreten. Aber nur jetzt noch nicht, jetzt, wo er endlich die Mittel hatte, sich sein Leben nach seinen Wünschen einzurichten. Zehn Jahre würde sein kleines Kapital ausreichen, zehn Jahre ungebundenen Sichauslebens. Die wollte er geniessen. Und dann? Er war nicht der Mann sich mit dem zu besch?ftigen, was nach zehn Jahren sein k?nnte.