Die Sitzung des n?chsten Tages er?ffnete Dr. Zeunemann mit der Erkl?rung, eine Zeugin, die aus Ragusa gekommen sei, habe gebeten, sofort vernommen zu werden, damit sie m?glichst bald zu ihrer Familie zurückreisen k?nne. Er habe um so weniger Ansto? genommen, ihrer Bitte zu willfahren, als er sie nicht für wichtig halte und sie nur auf Ansuchen des Verteidigers zulasse. Immerhin werde man von ihr Aufschlüsse über die Beziehungen des Angeklagten zu seiner geschiedenen Frau w?hrend der ersten Zeit seiner Ehe erhalten.
Auf seinen Wink trat eine mittelgro?e Dame ein, die mit einer ziegelroten Schabracke beh?ngt war und auf ihrem brandroten, in vielen Tollen und Puffen aufgesteckten Haar einen gro?en, von einem Niagarafall wei?er und blauer Strau?enfedern überstürzten Hut trug. Sie trat ein paar Schritte vorw?rts, blieb dann stehen und sah mit suchenden Blicken um sich, ein erwartungsvolles L?cheln auf den Lippen. Augenscheinlich hatte sie sich den Platz des Angeklagten beschreiben lassen, denn dort blieb der Blick h?ngen, ohne zun?chst durch das Ergebnis seiner Forschung befriedigt zu werden.
Pl?tzlich indessen stie? sie einen Schrei aus, rief mit kreischender Stimme: ?Dodo!? und lief mit ausgestreckten Armen auf Deruga zu. Sie hatte ihn jedoch nicht erreicht, als der Gerichtsdiener, der sie hereingeführt hatte, ihrer habhaft wurde und sie vor den kleinen Tisch im Angesicht der versammelten Richter stellte, wo sie den Eid zu leisten hatte.
?Entschuldigen Sie,? sagte sie schluchzend, indem sie ihr Taschentuch hervorzog, ?aber das war zu viel für mich. Dies Wiedersehen nach so viel Jahren! Die Ver?nderung! Und im Grunde doch dasselbe liebe, n?rrische Gesicht! Wenn Sie mir eine Pfanne mit glühenden Kohlen herstellen, Herr Pr?sident, so schw?re ich Ihnen, ich halte die Hand hinein, um seine Unschuld zu beweisen!?
?Die Sache ist leider nicht so einfach,? sagte Dr. Zeunemann mit wohlwollender überlegenheit. ?Hingegen k?nnen Sie uns unsere Arbeit sehr erleichtern und dem Angeklagten nützen, wenn Sie, was Sie zu sagen haben, kurz, klar und folgerichtig sagen. Sie hei?en Rosine Schmid geborene Vogelfrei, sind Hauptmannsgattin und vierundvierzig Jahre alt??
?Jawohl,? sagte die Dame, ?ich geh?re nicht zu denjenigen Frauen, die sich ihres Alters sch?men. übrigens tun die M?nner auch, was sie k?nnen, um jung zu erscheinen, besonders beim Milit?r, und würden es noch mehr tun, wenn so viel für sie davon abhinge wie für uns Frauen.?
?Frau Hauptmann,? sagte der Vorsitzende, ?Sie kennen den Angeklagten Sigismondo Enea Deruga, sind aber nicht mit ihm verwandt. Wollen Sie so gut sein und mit Vermeidung alles überflüssigen erz?hlen, wann und unter welchen Umst?nden Sie ihn kennenlernten??
?Mit Vergnügen will ich das,? sagte Frau Hauptmann Schmid lebhaft. ?Alles will ich sagen, was ich wei?, denn dazu bin ich ja hergekommen. Und wenn ich ans Ende der Welt reisen mü?te, sagte ich zu meinem Mann, ich t?te es, um dem Dodo aus der Patsche zu helfen. Das hat er um mich verdient, so lieb und gut wie er immer war. Und getan hat er es auch nicht, denn wenn er auch etwas toll und originell war, der Topf voll M?use, gemordet hat er sicherlich keinen Christenmenschen und am wenigsten die gute Seele, seine Frau.?
?Wie kommt es, da? Sie den Angeklagten einen Topf voll M?use nennen?? fragte Dr. Zeunemann.
?So nennt man doch,? erkl?rte Frau Schmid, ?die Figur, die bei den Feuerwerken gew?hnlich zuletzt kommt, wo es so kracht und prasselt, da? man glaubt, einen feuerspeienden Berg vor sich zu haben. Es war eine Art Kosenamen, den seine Frau ihm gegeben hatte, weil er zuweilen Anf?lle von Wut bekam, wo er Rauch und Feuer spuckte, so da? sie sich vor ihm fürchtete.?
?Sonderbarer Kosename,? meinte der Vorsitzende.
?Ach, Herr Pr?sident,? sagte die Frau Hauptmann lachend, ?er meinte es ja im Grunde nicht b?se, so wenig wie ein Topf voll M?use gef?hrlich ist. Darum pa?te der Name gerade so gut, und wir nannten ihn alle so, obgleich es sich für mich, so ein junges M?dchen wie ich war, kaum recht schickte.?
?Ich bitte zu beachten,? sagte der Staatsanwalt, ?da? nach Aussage der Zeugin die damalige Frau Deruga sich vor ihrem Mann fürchtete.?
Frau Hauptmann Schmid drehte sich schnell nach dem Sprecher herum und sagte, w?hrend ihr das Blut ins Gesicht stieg: ?Wenn Sie glauben, Sie h?tten damit einen Vorteil über den Herrn Doktor gewonnen, da? ich gesagt habe, er sei aufbrausend, so sind Sie gewaltig im Irrtum. Die Aufbrausenden sind die Schlimmsten nicht, und das sagt ja auch das Sprichwort: Hunde, die bellen, bei?en nicht. Ich habe oft zu meinem Manne gesagt: 'Meinetwegen m?chtest du schimpfen und fluchen, ja, sogar in Gottes Namen zuschlagen, nur das Maulen und Scheelblicken, das Brummen und Nachtragen, das ist mir zuwider, und ich glaube, da? einer, dem es nie überl?uft, das Herz nicht auf dem rechten Flecke hat.'?
Der Vorsitzende machte eine abschlie?ende Handbewegung und sagte: ?Ihre Mitteilungen, Frau Hauptmann, sind uns sehr wertvoll. Vielleicht erz?hlen Sie uns zun?chst, auf welche Weise Sie die Bekanntschaft des Angeklagten machten!?
?Sehr gern, sehr gern,? sagte Frau Hauptmann, ?ich habe auf der langen Reise immer an jene Zeit gedacht, darum ist mir alles gegenw?rtig, obschon es jetzt zweiundzwanzig Jahre her sind. Ja, zweiundzwanzig Jahre ist es her, und einundzwanzig Jahre war ich damals alt. Die Gro?mutter hatte gerade viel Geld bei der Lotterie verloren. Denn, obwohl sie sich einbildete, ein Muster von Vernunft zu sein, konnte sie doch nicht leben, ohne zu spielen. Und wenn sie sich das Geld h?tte zusammenbetteln müssen, gespielt mu?te werden. Weil nun der Gro?vater ?rgerlich war, was er zwar nicht aussprach, denn das traute er sich nicht, aber er machte ein langes Gesicht und manchmal eine sp?ttische Bemerkung, wollte die Gro?mutter es wieder einbringen und richtete das alte Lusth?uschen am Gartenzaun zum Vermieten ein, und es wurde eine Anzeige für die Zeitung gemacht. Ich wei? noch wie heute, wie wir abends sp?t um den Tisch unter der Lampe sa?en und uns abrackerten, um die Sache in richtiges Deutsch zu bringen. Denn der Gro?mutter war das Schriftliche nicht gel?ufig, und der Gro?vater wollte nichts damit zu tun haben. Erstens, sagte er, schicke es sich für den Offiziersstand nicht, Zimmer zu vermieten - er war n?mlich Hauptmann, aber schon lange nicht mehr im Dienst -, zweitens m?chte er keine Fremden im Hause leiden, und drittens sei es eine Schande, arglosen Leuten die alte Baracke als Wohnung aufzuschwatzen.?
?Ihre Gro?mutter war offenbar keine Deutsche,? schaltete der Vorsitzende ein, ?da ihr das Deutsche nicht gel?ufig war??
?Nein, natürlich nicht,? antwortete Frau Schmid, ?sie war ja aus Bosnien; aber sie war eine sehr sch?ne Frau und übrigens auch gebildet, nur nicht in den Wissenschaften.?
?Und Ihre Eltern?? fragte der Vorsitzende.
?Ja, meine Eltern waren auch von dorther,? sagte die Frau Hauptmann ein wenig err?tend; ?aber sie waren zu früh gestorben, als da? ich mich ihrer h?tte erinnern k?nnen, und ich sah eigentlich den Gro?vater und die Gro?mutter als meine Eltern an. Also, um in meiner Erz?hlung fortzufahren, als der Gro?vater das sagte, geriet die Gro?mutter in eine Furie und sagte, das Lusthaus h?tte der Kaiser Joseph oder Ferdinand oder Maximilian, das wei? ich nicht mehr, für seine Geliebte gebaut, da in dieser Gegend noch lauter Wald und Heide gewesen w?re, und es w?re noch etwas Malerei an der Decke und eine steinerne Vase, wenn auch zerbrochen, an der Treppe. Au?erdem wolle sie es den Leuten gar nicht aufschwatzen, nur zeigen; sie k?nnten ja die Augen auftun und mit Gott wieder heimgehen, wenn es ihnen nicht pa?te. Wenn die Gro?mutter in der Furie war, sah sie sehr majest?tisch aus; sie hatte eine gebogene Nase, wie ein Papagei, aber sch?ner, Augen wie Diamanten und dickes wei?es Haar, das wie ein Schneeberg über ihrem Kopfe stand. Um sie zu begütigen, half der Gro?vater doch mit bei der Anzeige, und sie lautete schlie?lich so: 'Hier ist ein fesches Sommerhaus zu vermieten, auch winters brauchbar, wenn es beliebt. Es liegt im Grünen und hat einige M?bel. Besonders geeignet für ein junges Ehepaar.' Die Gro?mutter wollte n?mlich zuerst schreiben: 'für ein Liebespaar.' Da wurde aber der Gro?vater beinahe b?se und sagte, die Gro?mutter würde ihn noch um Ehre und guten Namen bringen, und sie w?re ?rger als eine Zigeunerin. Da gab die Gro?mutter nach, denn sie hatte eine gro?e Hochachtung für des Gro?vaters Vornehmheit und Weltkenntnis, und es wurde statt dessen das 'junge Ehepaar' gesetzt.?
?Und auf diese Anzeige hin kamen Herr Dr. Deruga und seine Frau?? fragte der Vorsitzende. ?Wann war das??
?Vor zweiundzwanzig Jahren, wie ich schon sagte,? antwortete Frau Schmid; ?es mag im Mai gewesen sein.?
?Juli war es,? sagte Deruga, ?denn die Linde, unter der wir abends sa?en, duftete, und der Rosentriumphbogen über der Gartenpforte blühte, als wir das erstemal hindurchgingen.?
Alle blickten erstaunt nach dem Angeklagten, dessen wohllautende Stimme und melodischer Tonfall jetzt erst auffielen; was er sagte, hatte fast wie ein kleines Lied geklungen.
Die farbenpr?chtige Frau zeigte wieder eine Neigung auf ihn zuzulaufen, unterdrückte sie aber und sagte nur: ?Recht haben Sie, es war Juli! Sie wissen es am besten und k?nnten überhaupt alles viel besser und sch?ner erz?hlen als ich.?
?Schr?g über unserem Pavillon stand das Sternbild des Wagens,? sagte Deruga, ?und wenn wir nachts Hand in Hand nach Hause kamen, Mingo und ich, sah ich ihn an und dachte: Wie bald, fliegender Wagen der Zeit, wirst du uns von diesen schnellen, t?richten Augenblicken fortführen in das namenlose Dunkel.?
?Ja, etwas ?hnliches mu? ich wohl mal von Ihnen geh?rt haben,? fiel Frau Schmid lebhaft ein; ?denn im folgenden Sommer, wenn der Wagen am Himmel stand, sah er mir immer so leer aus, und doch hatte ich sonst auch niemand darin sitzen sehen, natürlich.?
?Sie haben also noch zuweilen an uns gedacht, Brutta?? fragte Deruga.
Frau Hauptmann Schmid zog ihr Taschentuch und brach in Tr?nen aus.
?Ach,? schluchzte sie, ?das greift mir ans Herz, wenn Sie mich bei dem Namen anreden. Es nennt mich ja seit Jahren niemand mehr so, denn der Gro?vater und die Gro?mutter sind lange tot, und ich m?chte gar nicht wieder hin nach dem alten Hause. Wer wei?, ob der Wagen noch darübersteht!?
Der Vorsitzende nahm jetzt den Faden des Verh?rs wieder auf, indem er Frau Schmid bat, sich zu beruhigen, und sie fragte, ob die Eheleute Deruga den Eindruck eines glücklichen Paares gemacht und ob sie ihren Gro?eltern gefallen h?tten.
?Und wie!? sagte Frau Schmid, ?besonders der Doktor. Das hei?t, dem Gro?vater gefiel die Frau besser, aber er hielt sich zurück. Dagegen, wenn die Gro?mutter einen leiden mochte, dann merkte man's. Und vom ersten Augenblick an sagte sie, das w?re ein Mann für mich gewesen.?
?Wie kam sie darauf?? fragte Dr. Zeunemann. ?Erwies er Ihnen Aufmerksamkeiten??
?Keine Spur!? sagte Frau Schmid. ?Er spa?te nur mit mir, wie das so seine Art war. Zum Beispiel sagte er mir immer, ich w?re so h??lich, da? man mich nur mit einem Auge ansehen k?nnte, sonst hielte man es nicht aus; und wenn ich ihm in den Weg kam, kniff er ein Auge zu, bald das eine, bald das andere. Um sie zu schonen, wie er sagte. Die Grimassen, die er dabei schnitt, waren zu komisch, da? ich nicht aufh?ren konnte zu lachen, und die Gro?mutter lachte auch; aber sie ?rgerte sich doch ein bi?chen. Das lie? sie übrigens nie an ihm aus, sondern an mir, wie ich denn überhaupt, um die Wahrheit zu sagen, viel von ihr ausgestanden habe; denn sie war rasch und zornig, obwohl sonst eine herrliche Frau, die ich bis an mein Lebensende lieben und verehren werde.?
?Empfanden Sie das Benehmen des Angeklagten nicht als unzart?? erkundigte sich der Vorsitzende.
?Bewahre!? sagte Frau Schmid. ?Wenn einem auf solche Weise gesagt wird, da? man h??lich ist, glaubt man hübsch zu sein. An Heiraten habe ich nie gedacht, er hatte ja eine Frau, und noch dazu eine, die ich schw?rmerisch verehrte. Die Gro?mutter gewann sie erst allm?hlich lieb, dann aber war sie fast mehr in sie als in den Doktor verliebt. Anfangs hatte sie allerlei an ihr auszusetzen: sie w?re zu alt für den Doktor - tats?chlich z?hlte sie ein paar Jahre mehr -, und namentlich w?re sie nicht feurig genug für einen so hübschen und reizenden Mann. Ihr Gesicht w?re nicht übel, wenn man genau zus?he, aber ihre Augen w?ren zu sanft und dadurch langweilig. Immer gleiche Freundlichkeit w?re wie Milchbrei; mü?te man den t?glich essen, würde einem übel. Dagegen ein gut gepfeffertes und gezwiebeltes Gulasch würde einem nie zuwider. Nur eins lie? meine Gro?mutter an ihr gelten; das war ihr Nacken. Die arme Frau trug n?mlich immer den Hals frei, obschon das damals nicht so in der Mode war wie heutzutage, und wenn sie durch den Garten ging, leicht, wie wenn sie Flügel an den Fü?en h?tte, sagte meine Gro?mutter: 'übrigens gef?llt sie mir nicht, aber ich m?chte sie einmal auf den Nacken küssen.'
Eines Tages, es mu? im Oktober gewesen sein, weil wir die Trauben abgenommen hatten, war die Gro?mutter besonders schlechter Laune wie jedes Jahr bei der Traubenernte. In der Zwischenzeit bildete sie sich n?mlich ein, da? sie sü? w?ren, und kam die Zeit heran, waren sie doch wieder sauer. Morgens beim Frühstück gab sie mir eine Ohrfeige, weil ich die Kaffeetasse umgeworfen hatte. Das hei?t, sie hatte mir einen Sto? gegeben, aber sie sagte, das w?re keine Entschuldigung, denn ich h?tte sie dumm angeglotzt. Bei der Gelegenheit sagte sie mir auch, wenn ich wenigstens gescheit w?re, so m?chte es hingehen, aber h??lich und dumm, da k?nne es einen nicht wundern, da? der Doktor mich nicht genommen habe; da? er mich als unverheirateter Mann gar nicht gekannt hatte und mich aus dem Grunde gar nicht h?tte heiraten k?nnen, leuchtete ihr niemals ein. In der Küche stellte ich mich auch an wie ein T?lpel, sagte sie, und doch hinge vom Kochen das Glück der Ehe ab, und da? sie gro?e Stücke darauf hielt, danke ich ihr noch tagt?glich, wenn mein Mann sagt, in den feinsten Hotels von Wien und Prag schmecke es ihm nicht so gut wie zu Hause, und doch ist er weit herumgekommen und versteht sich darauf.
An dem Tage nun wollte ich einen Risotto machen, und weil ich schon einmal einen unter der Aufsicht der Gro?mutter gemacht hatte, dachte ich, dabei würde es mir gewi? nicht fehlen. Ich schnitt also meine Zwiebeln und Leber und alles und richtete das Zeug an, und pl?tzlich fiel mir ein, da? ich Hunger h?tte, und da? gewi? noch eine Traube h?ngen geblieben w?re, die ich mir holen k?nnte, ohne da? die Gro?mutter es merkte. Ich schüttete noch ein wenig Fleischbrühe nach und dachte, auf die Art k?nnte ich es ruhig eine Weile gehen lassen. Eigentlich n?mlich mu? der Risotto fortw?hrend gerührt werden, und das wu?te ich gut genug; aber ein bi?chen keck und leichtsinnig war ich schon. Jetzt kann ich das nicht mehr begreifen, aber in der Jugend kommt man unversehens von einem aufs andere, wenn man sich die Zukunft ausmalt: Verehrer, K?rbe, Hochzeit und so weiter, und ich verga? über solchen Tr?umereien wahrhaftig das Mittagessen. Auf einmal steht die Gro?mutter vor mir, in der Nachtjacke, das Gesicht rot wie ein glühender Ofen, und schreit: 'Da steht sie und maust, die Dirne, die mir den ganzen Risotto verbrannt hat!' Wahrhaftig, ich roch es selbst durch das offene Küchenfenster, unter dem wir standen, und unbegreiflich ist es, da? ich es nicht vorher bemerkt hatte. Und dann fiel sie über mich her, griff mit der einen Hand in meine Haare und schlug mit der anderen so auf mich los, da? mir zumute war, als h?tte mich ein Wirbelwind gefa?t, und drehte sich mit mir im Kreise herum. Weh tat es mir nicht, dazu war ich zu erstaunt. Aber noch viel mehr erstaunte ich, als pl?tzlich die Gro?mutter ihrerseits von einem Sturmwind erfa?t und zurückgerissen wurde, und Frau Dr. Deruga zwischen uns stand, wie der Engel mit dem feurigen Schwerte, der Adam und Eva aus dem Paradiese trieb, mit Augen, die nicht blau wie sonst, sondern schwarz waren und knisterten, so kam es mir n?mlich vor in meiner Erregung.
'Lassen Sie das Kind los, Sie abscheuliche, gottlose Hy?ne!' rief sie so laut und hart, wie sie mit ihrer weichen Stimme konnte; und nach einer kleinen Pause sagte sie ein wenig weicher und gelinder: 'Meg?re, wollte ich sagen.' Wie sie das gesagt hatte, kam es ihr wohl selbst ein wenig komisch vor, da? sie in den Mundwinkeln zu lachen anfing, und dann lachte die Gro?mutter geradeheraus, und wie ich das h?rte, lachte ich derma?en, da? ich ordentlich kreischte, und fiel der Frau Doktor um den Hals, der die Tr?nen aus den Augen sprangen vor Lachen.?
W?hrend dieser Erz?hlung beobachteten sowohl die Richter wie Dr. Bernburger in unauff?lliger Weise den Angeklagten, in dessen Mienen sich deutlich auspr?gte, wie er die wiedererstehende Vergangenheit miterlebte, seine l?nglichen, sch?ngeschnittenen Augen ergl?nzten wie die Schuppen eines silbernen Fisches. Er schien seine Lage und Umgebung vollst?ndig vergessen zu haben und sagte unbefangen zu der alten Freundin: ?Arme Marmotte,? (so nannte er seine Frau) ?arme, gute, feige Person! So hatte sie sp?ter ihr Junges gegen mich verteidigt, das natürlich seine Prügel ebenso verdiente, wie Sie damals, Brutta. Aber erz?hlen Sie weiter, erz?hlen Sie: was tat die Gro?mutter??
?Der Gro?mutter,? fuhr die Frau Hauptmann fort, ?waren die Augen auch feucht, aber nicht nur vom Lachen, sondern gerührt war sie, gerührt über die Frau Doktor, und machte kein Hehl daraus; denn obwohl sie, wie schon gesagt, eher scharf und zornig war, so war sie doch ohne Falsch und z?gerte nicht, ein Unrecht zuzugestehen, wenn sie es n?mlich eingesehen hatte. Sie stemmte die Arme in die Seite und sagte: 'Also so sieht das stille Wasser aus! Eine richtige Feuerflamme kann herausschlagen! Da bin ich freilich so dumm wie alt gewesen. Und wenn ich heute unser Herr Doktor w?re, würde ich Sie morgen vom Fleck weg heiraten, so gut haben Sie mir eben gefallen. Und nun mu? ich Sie auf den Nacken küssen!' Damit umarmte sie die Frau Doktor und kü?te sie nicht nur auf den Nacken, sondern auch auf beide Backen, und dann sagte sie, der Risotto solle nun vergeben und vergessen sein, und sie wolle für das Mittagessen sorgen, denn kochen k?nne sie besser, als man es von einer gottlosen Hy?ne erwarten würde. In der Tat brachte sie in einer Stunde das feinste Essen zusammen, n?mlich Fleischpastete und Marillenkn?del, und ich begreife heute noch nicht, wie sie es machte, denn das sind Gerichte, zu denen man seine Zeit braucht. Helfen mu?te ich allerdings doch und bekam Püffe und Kniffe, aber das schadete nicht, weil sie ein vergnügtes Gesicht dazu machte. Nachher beim Mittagessen, an dem die arme Marmotte, ich meine die Frau Doktor, auch teilnehmen mu?te, sprach die Gro?mutter viel über Erziehung, und da? namentlich die M?dchen lernen mü?ten, nicht so heikel und empfindlich zu sein, denn bei den M?nnern w?ren sie nicht auf Daunen gebettet, und wenn eine nicht einen Puff vertrüge und sich ihrer Haut wehren k?nnte, ginge es ihr schlecht; die Wehleidigen und Nachgiebigen würden nur verachtet. Eine Frau, die ihnen keinen Vorteil br?chte, s?hen die M?nner nur als eine Last an, deshalb mü?te ein M?dchen entweder Geld haben oder kochen k?nnen. Die arme Marmotte rühmte ihren Mann, da? er nicht so w?re, aber die Gro?mutter, die doch bisher so viel Wesens von ihm gemacht hatte, sagte, da g?be es keine Ausnahmen. In diesem Punkte w?re einer wie der andere, und wenn die Liebe einmal einen uneigennützig machte, ha?te er die Frau nachher doppelt, die ihn so verblendet h?tte.?
?Warum sagen Sie immer 'arme Marmotte'?? fragte der Vorsitzende, der mit au?erordentlicher Geduld zugeh?rt hatte.
?Nun, weil sie tot ist,? antwortete die Frau Hauptmann nach einer Pause etwas verblüfft.
?Ach so,? sagte Dr. Zeunemann, ?bei ihren Lebzeiten haben Sie nicht so von ihr gesprochen??
?Bewahre,? sagte Frau Schmid, ?sie kam mir im Gegenteil beneidenswert vor. Nun ja, etwas Hilfloses hatte sie an sich, und zuweilen war sie auch traurig und sah ?ngstlich aus, und da mag ich sie wohl einmal 'arme Marmotte' genannt haben.?
?Wissen Sie, warum sie zuweilen traurig war?? fragte der Vorsitzende.
?Warum?? fiel Deruga h?hnisch ein. ?Das kann ich Ihnen sagen. Weil sie ihren Mann nicht so liebte, wie sie sollte, weil sie an einen anderen dachte, der besser zu ihr passen würde, und weil sie Angst vor meiner Eifersucht hatte. Denn wir Italiener haben nicht Milch oder Wasser in den Adern, sondern Blut, und dann werden unsere Augen blutrot, wenn wir zornig werden.?
Frau Hauptmann warf einen erschrockenen und tadelnden Blick auf Deruga und sagte, zu den Richtern gewendet:
?Er macht nur Spa?! Er war immer ein Spa?macher und liebte es, die Leute zu foppen und zu erschrecken.? Dann wieder zu ihm herüber: ?Warum h?tte die arme Marmotte Sie denn geheiratet? Ein Kind konnte ja sehen, wie lieb sie Sie hatte.?
Deruga hatte bereits den Kopf wieder auf die Hand gestützt, so da? man sein Gesicht nicht sah, und gab kein Zeichen des Anteils mehr.
?Wenn sie sich vor ihm fürchtete,? fuhr Frau Schmid, zu den Richtern gewendet, fort, ?so war das sicherlich nicht seine Schuld, sondern es kam von ihrer au?erordentlichen Furchtsamkeit. Einmal in der Nacht fiel etwas mit einem Betrunkenen vor. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, aber ich wei?, wie sie von uns allen damit geneckt wurde.?
Der Vorsitzende ermunterte Frau Schmid, sich zu besinnen oder zu erz?hlen, was sie noch davon wisse. Dann, da ihr nichts einfiel, fragte er Deruga, ob er sich vielleicht noch daran erinnere.
Deruga hob den Kopf und sah aus, als habe er keine Ahnung, wovon die Rede sei.
?Ach, Sie wissen doch, Doktorchen,? redete ihm Frau Schmid zu. ?Es kam nachts ein Betrunkener am Pavillon vorbei und gr?lte so laut, da? Ihre Frau davon aufwachte und dachte, es w?re unter dem Fenster. Es wird im November gewesen sein, denn es war eine stürmische und regnerische Nacht, und Sie hatten keine Lust aufzustehen und stellten sich schlafend, w?hrend Ihre Frau fast verging vor Angst. So ungef?hr war es, erinnern Sie sich denn nicht mehr daran??
?O ja,? sagte Deruga, ?es stellte sich eine ungew?hnliche Z?rtlichkeit bei meiner Frau ein. Ich wachte auf, weil sie sich an mich schmiegte und ihren Kopf dicht an meinen Hals drückte, und als ich mich noch in dem Traum wiegte, es habe sie pl?tzlich eine Leidenschaft für mich überkommen, flehte sie mich an, ich solle sie vor dem Betrunkenen schützen. 'Er ist unter dem Fenster,' sagte sie, 'im n?chsten Augenblick wird er hereinkommen. Was fangen wir an, o, was fangen wir an! Schlie?e wenigstens das Fenster.' Ich rief: 'Ich werde mich hüten, das zu tun; so bist du doch einmal z?rtlich gegen mich' - und ich habe es ausdrücklich ziemlich b?sartig gesagt, denn sie lie? mich los und drehte ihr Gesicht nach der anderen Seite und weinte. Ich sagte noch viel bei?ender als vorher, sie solle nicht so dumm sein zu weinen, und übrigens, wenn sie sich so unglücklich fühle, brauchte sie nicht für das Leben zu zittern. Und wenn sie zum Sterben unglücklich sei, sagte sie, sie m?chte doch nicht, da? ein ekelhafter, betrunkener Mensch sie anfa?te und erwürgte. Da? sie gar nicht unglücklich w?re, sagte sie nicht. 'Der Kerl liegt drau?en im Stra?engraben und wird singen, bis er einschl?ft,' sagte ich, und dann stellte ich mich schlafend, um sie durch die Furcht zu qu?len. Nach einer halben Stunde verstummte das Geheul, und gleich darauf schlief sie fest und ruhig, w?hrend ich wachend neben ihr lag und ihren hübschen wei?en Hals betrachtete und darüber nachdachte, wie leicht ich ihre Kehle zudrücken k?nnte, fast ohne da? sie es merkte.?
Der Staatsanwalt zuckte triumphierend seine geschw?nzten Augenbrauen und streckte, den Mund schon zum Reden ge?ffnet, den Zeigefinger aus, als der Justizrat die Hand gegen ihn erhob und gleichgültig, wie man einen nichtigen Einwand beseitigt, sagte: ?Er hat es ja nicht getan. Hunde, die bellen, bei?en nicht, wie unsere Zeugin schon sagte.?
Ehe noch der Staatsanwalt einen Laut hervorbringen konnte, erkl?rte Dr. Zeunemann, nachdem er durch einen verbindlichen Blick nach rechts und links die Zustimmung erbeten, aber nicht abgewartet hatte, die Sitzung der Mittagspause wegen für geschlossen. Er wollte um drei Uhr noch einige Fragen an Frau Hauptmann Schmid richten, und wenn seine Kollegen einverstanden w?ren, k?nne sie dann abreisen. Der Nachtzug nach Wien gehe um acht Uhr.
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